Hört mir zu: Dieses Lied ist ein Denkmal

album-art
00:00

Auf Soundcloud hören

Audio-Guide

(01:21): „Vom Bosphorus bis zum Rhein“
Ozan Ata Canani
(COSMO Türkçe Radio, 24. November 2022)

(03:12): Mevlüde Genç
(ZDF Heute, 29. Mai 2018)
Übersetzung:
„Ich habe in der Dunkelheit der Nacht geweint und morgens meine Kinder angelächelt. Damit meine Kinder nicht traurig werden und keinen Hass entwickeln. Vor meinen Kindern war ich immer die Starke. Das Leben ist zwar süß, aber ich konnte kein süßes Leben leben. Ich lebe in dieser hellen Welt in der Dunkelheit, weil mein Schmerz zu groß ist. Das ist mein Vermächtnis. Ich vertraue Euch meine Kinder an, da ich nicht mehr die Jüngste bin. Es soll niemand zu Schaden kommen. Lasst uns als Geschwister leben. Lasst uns als Freunde leben. Lasst uns mit einem Blick in die Zukunft leben. Lasst uns Schritte zurück vermeiden. Lasst uns diese lichte Welt zu keinem Gefängnis machen.“

(03:56): „Eine Mark mehr!“
(labournet.tv; Edith Schmidt/David Wittenberg, 1974/75) 
1973 streikten mehr als 2.000 Arbeiter*innen, darunter 1.700 Frauen, in der Pierburg-Fabrik und forderten gleiche Rechte und gleiche Löhne.

(05:38): Mitat Özdemir
Protest gegen die NSU-Gedenkstätte in Zwickau, die ohne die Überlebenden und Angehörigen der Opfer eingeweiht wurde (Aufnahme von Bengü Kocatürk-Schuster, 2018) „Es ist nicht vorbei. Ich glaube, wir sind uns gar nicht bewusst, was wir hier erleben. Es muss viel mehr ernst genommen werden. Freunde, es ist nicht mehr 5 vor 12, sondern es ist fast 12 Uhr.“

(06:40): „No Justice, No Peace!“
Protest gegen Polizeigewalt, Köln
(Aufnahme von Bengü Kocatürk-Schuster, 2020)

(06:59): „Rose Marie“
Berivan Kaya, 2024

(08:31): „Kein Platz in Solingen!“
Protest nach dem Brandanschlag, bei dem eine junge vierköpfige Familie getötet wurde, Solingen 
(Aufnahme von Sibel İ., März 2024)

(09:04): Aynur Satır
(Pressekonferenz aus des Bundesweiten Netzwerk von Betroffenen Rechter Gewalt, 11. März 2024)
„Ich lasse mich aber nicht zum Schweigen bringen. Es reicht. Dass immer noch rassistische Gewalt passiert, Anschläge, Polizeigewalt, junge Menschen, die ermordet werden, wofür muss das immer wieder passieren? Wie lange sollen wir noch um die Anerkennung kämpfen? Ich habe keine Kraft mehr dafür, mich immer wieder als Betroffene und Überlebende sichtbar zu machen und nicht wahrgenommen zu werden. Die Kämpfe von Rassismus-Betroffenen werden immer wieder unsichtbar gemacht, durch die Nicht-Anerkennung unserer Geschichten. Wie bei dem rassistischen Brandanschlag auf mich und meine Familie. Als Überlebende und Angehörige kamen wir vor Gericht schon nicht zu Wort, um unser Erlebnis zu erzählen. Immer wieder mache ich diese Erfahrung von staatlicher Seite, dass meiner Perspektive keine Wichtigkeit gegeben wird. Keine politische und staatliche Anerkennung bedeutet keine Gerechtigkeit, keine Konsequenzen und viele offene Fragen.“

(10:35): „Denkmal“
Microphone Mafia, 2002

(11:53): Gamze Kubaşık
(Radio Nordpol, 3. November 2022)
„10 Jahre nach der Selbstenttarnung des NSU in Eisenach bleiben nach wie vor viele Fragen offen. Die Politik versprach uns Familien eine vollständige Aufklärung, der sie leider nicht nachkamen.
Für mich ist die Aufklärung nicht zu Ende. Auch das Urteil des Oberlandesgerichts München hat meine Fragen nicht beantwortet. Ich möchte immer noch wissen, wer für den Mord an meinem Vater verantwortlich ist. Es geht nicht nur darum, wer selbst geschossen hat, sondern auch darum, wer Unterstützer, Helfer oder weiterer Mörder war. Ich will wissen, welche Helfer der NSU in Dortmund und anderswo hatte. Ich will wissen, warum die Morde und Anschläge nicht verhindert wurden. Ich will wissen, was Polizei und Verfassungsschutz wussten und warum deren Spitzel bis heute geschützt werden. Ich möchte, dass die NSU-Akten den Anwälten übergeben werden.Und ich hoffe, dass zumindest das Urteil gegen André Eminger aufgehoben wird und er als volles Mitglied des NSU auch für das verurteilt wird, was er getan hat. Solange eine 100%ige Aufklärung nicht wenigstens versucht wurde, kann und werde ich damit nicht abschließen können.“

(13:37): „So viele Einzelfälle“
Protest in Gedenken an Mouhamed Lamine Dramé, Dortmund
(Radio Nordpol und Solidaritätskreis Mouhamed Lamine Dramé, 12. August 2023)

(14:06) Fatma Ceylan
(Möllner Rede im Exil in Köln, 19. November 2023)
Übersetzung: „Seit einem Jahr habe ich hier wunderbare Menschen kennengelernt, die mir Mut und Hoffnung gegeben haben und seit dieser Zeit traue ich mich meinen Namen Fatma Ceylan auszusprechen und über meine Sorgen und dieses Ereignis zu sprechen. Ab jetzt möchte ich nicht schweigen. Ich möchte kämpfen; ich möchte für meine Rechte kämpfen. Und ich möchte als Fatma Ceylan auftreten und alles erzählen. Ich möchte mich bei Ihnen allen bedanken, also wie ich schon gesagt habe, ich werde weiterkämpfen. Stehen Sie bitte auf meiner Seite, stehen Sie mir bitte bei.“

(14:35) Sibel İ.
(Möllner Rede im Exil in Köln, 19. November 2023)
„Meine Wohnung ist nicht mehr wohnlich. Erst hieß es, derjenige, der den Molotov-Cocktail geschmissen hat, dass der ne dicke Akte hat. Und dann hieß es, nein, der ist es nicht, es ist ein 14jähriger, der um 2 Uhr nachts den Angriff ausübte. Ich hatte Riesenglück, dass ich zum Tatzeitpunkt Urlaub hatte und zuhause war. Mein Anwalt und ich hatten keine Akteneinsicht. Wir durften nicht in die Akten reinschauen. Vor Gericht sagte man mir, es könnten auch mehrere Täter hinter der Tat stecken. Seitdem habe ich Schlafstörungen. Mir fehlen echt die Worte. Ich bin hier geboren und aufgewachsen. Und ich finde das sehr, sehr traurig, dass ich so etwas erleben muss. Also ich hatte deutsche Nachbarn; ich hatte deutsche Pflegeeltern. Dass ich mich in diesem Land irgendwann unsicher fühlen würde, hätte ich nie gedacht.“

(14:38): Cihat Genç
(Interview, IDA-NRW, 17. Mai 2021)
„Zu verstehen, was Rassismus ist, das wäre zum Beispiel ein Anfang. Um wirklich jedes einzelne Wort da drin zu verstehen, was es ist, welche Auswirkungen es haben kann und wie man Rassismus bekämpfen kann. Und das ist tatsächlich, meine Oma würde sagen, mit Liebe kann man Rassismus bekämpfen. Und genau das ist es. Immer jeden Menschen so zu lieben, wie er ist. Der offene Umgang ist wichtig und ich meine, ich trage dazu ja auch zur Aufklärung bei. Meine Freunde kennen meine Geschichte schon. Deswegen, mit meinen Freunden habe ich nie ein Problem gehabt. Mit Fremden, die sind abweisend und ich würde mir wirklich wünschen, dass die mit mir sehr, sehr offen darüber umgehen und mal Fragen stellen. Weil nur Wissen macht jemanden schlau. Unwissenheit nicht.“

(14:47): Orhan Çalışır
Gedenkveranstaltung für Şahin Çalışır vor dem Amtsgericht Neuss (Aufnahme von Daniel Poštrak, 27. Dezember 2020)
„Andere Verbrechen können nur durch die entschlossene Bekämpfung des Rassismus verhindert werden. Dazu gehört auch das Gedenken an die Opfer, die wie Şahin teilweise von der Öffentlichkeit vergessen wurden. Oder deren hinterhältige Ermordung nicht mal in der Öffentlichkeit wahrgenommen wurde. Auf staatliche Stellen können und dürfen wir uns nicht verlassen, hat die Erfahrung uns gelehrt. Sie haben diese Morde nicht verhindert und nichts sagt uns, dass sie es in der Zukunft tun werden.Nur die Selbstorganisation und die Selbsttätigkeit der potentiellen Opfer, der Anti-Rassistinnen und Anti-Rassisten, der Migrantinnen und Migranten kann rassistische Angriffe und Morde verhindern und uns Sicherheit geben. Ich danke euch für eure Solidarität.“

(16:23): „We Stand for Mouhamed!“
(Radio Nordpol und Solidaritätskreis Mouhamed Lamine Dramé, 12. August 2023)

(17:43): „Avanti Popolo“
Esther Bejarano und Microphone Mafia
(Museum für Arbeit in Hamburg, 14. Februar 2014)

(19:11): Malek Ahmad
Gedicht, 2024
Übersetzung:
„Ich bin ein Kurde, ein Flüchtling, ich habe ein schweres Los...
Oh Mutter, du brauchst nicht zu wehklagen, 
Ich habe ein Dach über dem Kopf, ich habe ein Zuhause...
Ich möchte menschenwürdig leben, aber da ist dieses mein Schicksal...
Ich schrei’, ich wein’ vor dem Herzensschmerz... 
Werden wir immer arm, traurig und verfolgt sein?
Oh du, der/die Macht besitzt, warum 
unterdrückst du die anderen…
Lasst uns zusammenrücken, den Schmerz des Herzens beenden…
Du und ich, wir zusammen, bauen ein Paradies auf…
Es ist genug des Todes, Verrats und der Unterdrückung…
In dieser Welt kann man mit Vernunft, mit Ideen und Gedanken frei leben…
Lasst uns zusammen in die Gärten, die für alle Menschen sind.“


Künstlerin: Talya Feldman
Sounddesign: Carlos Ángel Luppi
Mitwirkende: Ozan Ata Canani, Berivan Kaya und Microphone Mafia
Stimmauszüge: Mitat Özdemir, Mevlüde Genç, Aynur Satır, Gamze Kubaşık, Orhan Çalışır, Cihat Genç, Sibel İ., Fatma Ceylan, Malek Ahmad, Solidaritätskreis Mouhamed Lamine Dramé, Árwy (Klavier) und Esther Bejarano
Rechercheunterstützung: Ali Şirin, Kutlu Yurtseven, Bengü Kocatürk-Schuster, Birgül Demirtaş, Hatice und Kâmil Genç, Orhan Çalışır, Katharina Ruhland, Michi Sturm, Anke Hoffstadt und Jelle Post

„Hört mir zu: Dieses Lied ist ein Denkmal“ ist eine Soundcollage aus Protesten, Soundlandschaften, Instrumentalstücken, Interviews, Reden und Musikaufnahmen von lokalen Musiker*innen und Legenden wie Ozan Ata Canani, Berivan Kaya und Microphone Mafia. Durch das Verstärken des Hörbaren, das so oft aus historischen Archiven und dem öffentlichen Raum ausgeschlossen wird, bietet „Hört mir zu: Dieses Lied ist ein Denkmal“ eine alternative Erzählung der Geschichte Nordrhein-Westfalens, die sich über die letzten Jahrzehnte erstreckt. Die Collage beschreibt Sound und Zuhören als politische Werkzeuge zur Überwindung von Machtstrukturen – diese bringen marginalisierte Communities, die für Gleichheit, Gerechtigkeit und Erinnerung kämpfen, nur allzu schnell zum Schweigen.

Berivan Kayas Adaption von „Rose Marie“, ursprünglich 1979 von Bora Ayanoğlu aufgeführt, verweist auf die Geschichte der „Gastarbeiter“ in NRW, auf ihre Gefühle von Heimweh, ihre Musik als Mittel zur Selbstermächtigung und Verbindung, ihre Reise und Ankunft mit dem Zug aus Ländern wie der Türkei und Griechenland zur Arbeit in den Fabriken. Ihr Kampf für die Rechte der Arbeiter*innen führte 1973 zu einer Reihe von Arbeitsniederlegungen, die später als „wilde“ Streiks bekannt wurden. Diese Proteste veränderten den Lauf der Geschichte in NRW ebenso wie die rassistischen Brandanschläge in Duisburg, Solingen und die NSU-Morde und Bombenanschläge in Dortmund und Köln. Mit dem Aufkommen des Rap in NRW entstand auch ein Sprechort für Wut, Trauer und Widerstand gegen die Kontinuitäten rassistischer und antisemitischer Gewalt in ganz Deutschland. Die 1989 gegründete Microphone Mafia wurde zu einer Rap-Gruppe des Gedenkens. In ihren Texten markieren sie diese Angriffe, blicken auf viele Punkte der deutschen Geschichte und Politik und halten gleichzeitig die Erinnerungen an ihre Eltern, Städte und Communities fest. Das Lied „Denkmal“, das in dieser Collage zu hören ist, wurde von Microphone Mafia erstmals 2002 veröffentlicht. Es wurde vom Vater des Gruppenmitglieds Kutlu Yurtseven geschrieben, einem der Teilnehmer*innen des Streiks von 1973.

In Ozan Ata Cananis Aufnahme mit Berivan Kaya von „Vom Bosphorus bis zum Rhein“, die erstmals 2022 veröffentlicht wurde, fordern die beiden Musiker*innen dazu auf, sowohl auf Deutsch als auch auf Türkisch gehört zu werden. Versteht uns, sagt er, auch wenn wir zu Asche verbrannt werden – Wir sind hier, und wir gehören hierher. Wir sind ein Teil von dir, Deutschland. Mit dem jüngsten Brandanschläge in Solingen im März 2024, bei dem eine junge vierköpfige Familie ums Leben kam, und im Juni 2024, bei der viele Menschen verletzt wurden, erhalten diese Worte eine noch größere Bedeutung für unsere Zeit.

Dieses Werk steht als Mahnmal für die vielen Verletzten und Opfer von Rassismus und Antisemitismus in NRW, aber auch für die Vielen, die seit Jahrzehnten und bis heute für Widerstand, Resilienz und Solidarität kämpfen. Ihre lautstarken Forderungen nach Anerkennung, Gerechtigkeit und Veränderung sind klar und deutlich. Hört mir zu, sagen sie. Es ist Zeit, gehört zu werden.

KontaktImpressum & Datenschutz